Bitte stellen Sie sich und das Engagement der Grimme-Akademie im Bereich Medien & Inklusion vor.
Mein Name ist Stefan Schröer, ich bin seit 2015 für die Grimme-Akademie tätig. Ich konzeptioniere und realisiere unsere Workshop-Reihe „Qualifizierung kompakt“ für junge Medienmacher*innen und arbeite zusammen mit Aycha Riffi an den Projekten und Veranstaltungen der Grimme-Akademie.
Das Angebot der Grimme-Akademie umfasst einerseits Qualifizierungsangebote für junge Medienschaffende sowie vielfältige Veranstaltungen für die Medienbranche, in denen wir den kommunikativen Austausch mit professionellen Film- und Fernsehmacher*innen zu ausgewählten Themen fördern möchten und Inklusion ist ein Thema, das uns seit Jahren begleitet.
Medien prägen die Bilder unserer Gesellschaft. Sie definieren unser Menschenbild, legen fest, wer oder was unsere Gemeinschaft repräsentiert – und wie. Gleichzeitig ermöglichen sie den Menschen den Zugang und die Teilhabe an eben diesem gesellschaftlichen Abbild. Unser Wunsch ist eine inklusive Gesellschaft, in der sich alle Menschen einerseits medial gleichberechtigt repräsentiert fühlen und zugleich die technischen Voraussetzungen für Menschen mit Behinderungen bestehen, barrierefrei Medien zu konsumieren.
Konkret auf den Bereich Medien & Inklusion bezogen, können wir gerne ein paar Beispiele für unsere Arbeit aufzählen:
Im Auftrag von Aktion Mensch hat die Grimme-Akademie gemeinsam mit „doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche“ – dem Duisburger Festival für Kinder- und Jugenddokumentarfilm – bereits 2012 Unterrichtsmaterialien für die sechs internationalen Dokumentar- und Spielfilme des inklusiven und bundesweit stattfindenden Filmfestivals „überall dabei“ erstellt. Pädagog*innen bekamen so zusätzliches Material an die Hand, um ihren Schüler*innen über den gemeinsamen Besuch des Festivals hinaus die Möglichkeit zu geben, sich dem Thema sowohl inhaltlich, als auch über die Auseinandersetzung mit dem Medium „Film“ aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Letztlich erhofften wir uns, die Diskussion zu den Themen Inklusion und Vielfalt so in den Klassenraum zu tragen.
Gleichwohl halten wir es für essentiell, das Themenfeld auch in der Medienbranche dauerhaft zu etablieren, um – sozusagen an der Basis – die Macher*innen zu sensibilisieren und eine kommunikative Auseinandersetzung branchenintern zu fördern. Gemeinsam mit dem Büro der/des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen haben wir die Fachtagung „Inklusion und Medien“ ins Leben gerufen.
2013 fand diese zur „Darstellung von Menschen mit Behinderung in Medien“ und 2015 unter dem Thema „Neue Perspektiven auf Behinderung“ statt. Die letzte Fachveranstaltung in diesem Kontext fand im Juni 2017 statt und beschäftigte sich mit „Inklusion in Medienangeboten für Kinder und Jugendliche“.[1]
Diese Veranstaltung widmete sich neben der Problematik technischer Barrieren auch der Frage der Beteiligung von Menschen mit Behinderung in medialen Formaten. Können Sie uns einen Einblick in die dort diskutierten und angeregten Inhalte geben?
Zusammen mit Expert*innen, Journalist*innen und dem Fachpublikum diskutierten wir im Rahmen des Kinderfilmfestes „Goldener Spatz“ in Erfurt über die Darstellung und Repräsentanz von Menschen mit Behinderung mit besonderem Augenmerk auf Kinder- und Jugendmedien.
Spannend war die Einführung von Prof. Dr. Ingo Bosse (TU Dortmund), der die Ergebnisse der Studie „Mediennutzung von Menschen mit Behinderung“ (2016) vorstellte: Das meistgenutzte Medium von Menschen mit Beeinträchtigungen ist nach wie vor das Fernsehen, demgegenüber werden Online-Angebote seltener wahrgenommen als im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Wichtigste Nutzungsmotive sind Information, Spaß und Entspannung. Bemängelt wurde seitens der Befragten das Angebot an Untertitelungen oder Audiodeskriptionen im TV.[2]
Die Barrierefreiheit, als das wichtige Kriterium für die uneingeschränkte Nutzung von Medienangeboten, wurde daher auch in den anschließenden Workshops diskutiert. Vorgestellt wurde u.a. als Best-Practice-Beispiel das inklusive Jugendmagazin „yoin“ von der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien, München: Das TV-Angebot umfasst Videos mit Gebärdensprache, Audiodeskription, Untertiteln oder Leichter Sprache. Die Moderatorin Kim Denise Hansmann präsentiert in der Sendung Themen & Gäste für die junge Zielgruppe, nach eigener Aussage „Weg vom Betroffenheits-Fernsehen, hin zum natürlichen und selbstironischen Umgang mit Behinderung!“[3].
Das Barrierefreiheit keine Herkulesaufgabe sein muss, zeigten Anke Nicolai und Stefan Friese (Video to Voice, Berlin) mit ihrer webbasierten Plattform „Frazier“. Hier wird die Erstellung einer Audiodeskription mittels Text-to-Speech-Technologie zu verringerten Herstellungskosten ermöglicht.[4] Ein ökonomischer Anreiz, der hoffentlich zukünftig zu einem vergrößerten Angebot führt.
Das auf der Tagung vorgestellte Projekt „Junge Filmbeschreiber“ (doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche, Duisburg) verbindet in diesem Kontext vieles: Partizipation, Filmbildung, praktische Medienkompetenz/-arbeit und Barrierefreiheit. Gemeinsam mit einem Medienpädagogen erarbeiten und produzieren sehende und sehbeeinträchtigte Jugendliche professionelle Audiodeskriptionen für Kurzfilme.[5] Die Ergebnisse (Kurzfilme mit Audiodeskription) können übrigens bei der Firma Methode Film bestellt werden.[6]
Beeindruckend präsentierte sich das inklusive Nachwuchsreporterteam „RioMaNiacs“. Im Auftrag der Aktion Mensch und der Deutschen Telekom berichteten Marcel Wienands und Niklas Klütsch 2016 über die Paralympischen Spiele vor Ort aus Rio. Auf der Tagung gaben sie einen Einblick in ihre aufregende Arbeit, mit der sie damals beeindruckende Reichweiten erzielt haben.[7]
Ganz wichtig war uns auch über die adäquate Darstellung von Menschen mit Behinderungen in fiktionalen und non-fiktionalen Angeboten zu sprechen. Der Schauspieler Erwin Aljukic, bekannt aus der Serie „Marienhof“ und Wolfgang Janßen von der Casting-Agentur Rollenfang, stellten sich den Fragen von Judyta Smykowski, Mitarbeiterin der Sozialhelden. Es gibt in Medienangeboten noch immer unsägliche Falschdarstellungen und diskriminierende Aspekte, aber – so könnte ein zumindest für die Zukunft positiv stimmendes Fazit lauten: Figuren und Protagonisten werden in zunehmendem Maße vielseitiger und tiefgründiger gezeichnet und tauchen nicht mehr nur in Ausnahmefällen im Programm auf. Dennoch ist noch viel Platz für Innovation in den Bewegtbildmedien.
Auch in der abschließenden Diskussion mit u.a. Verena Bentele, der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Kika-Programmgeschäftsführer Michael Stumpf und Autor und Aktivist Raúl Krauthausen wurde dieser Eindruck deutlich und bestätigt. Der Weg zu einer inklusiven, vorurteilsfreien, klischeefreien sowie barrierefreien (Medien-)Gesellschaft ist noch lang – auch wenn wir hoffentlich einige vielversprechende und Erfolg verheißende Ansätze aufzeigen konnten.
Welche Formate und/oder Inhalte würden Sie sich im Bereich Medien und Behinderung wünschen?
Ich würde mir generell wünschen, mehr Menschen mit Behinderungen in den Medien zu sehen. Das sollte selbstverständlich sein, als Teil unserer Gesellschaft sollten sie auch medial repräsentiert sein – ohne einen mitleidsvollen Blick, frei von Stereotypen. „yoin“ verfolgt im Bereich Jugendmedien da einen wirklich erfrischenden und unverkrampften Ansatz. Warum existiert so etwas nicht auch als Sportmagazin? Der Deutsche Behindertensportverband hat über 600.000 Mitglieder. Wie sieht deren Alltag aus, die Turniere und Meisterschaften – die Paralympics einmal ausgeschlossen? Aber auch im Bereich Unterhaltung, Comedy oder Information: Menschen mit Behinderungen sind unterrepräsentiert. Sowohl vor, als auch hinter der Kamera. Ich würde mir einen Zugang für mehr Moderator*innen, Autor*innen, Journalist*innen, Schauspieler*innen oder Kameramänner und -frauen mit Behinderungen wünschen.
Klar ist auch: Medien-Macher und auch die Provider von Netz-Inhalten sollten Film und Sendungen barrierefrei gestalten – für alle Formen von Beeinträchtigungen. Die bisherigen Entwicklungen und die damit einhergehende gesellschaftliche Diskussion rund um das Thema Inklusion bewerten wir natürlich positiv. Doch es bleibt festzustellen, dass nach wie vor Verbesserungsbedarf besteht, wie Menschen mit Behinderung klischeefrei dargestellt und medial partizipieren können.
Gibt es aktuelle Planungen für eine Fortführung der Veranstaltungsreihe zum Thema Inklusion?
Wir halten das Thema nach wie vor für relevant und leider noch lange nicht umfassend umgesetzt, Inklusion und Partizipation sind keine gesellschaftliche Realität und der Normalzustand. An der medialen Umsetzung besteht weiterhin „Optimierungsbedarf“. Solange dies der Fall ist, ist unser Engagement nicht beendet. Weitere Aktivitäten und eine Fortführung des Formats sind deshalb explizit von uns gewünscht und geplant. Auch eine Zusammenarbeit mit weiteren Kooperationspartnern können wir uns vorstellen. Aktuell versuchen wir Partner zu finden, mit denen wir Workshops für Medienmacher*innen oder Journalist*innen anbieten können, um Antworten auf Fragen, ein sicheres Gespür für das Thema sowie Ideen und Inhalte gemeinsam zu erarbeiten – und am liebsten nicht erst nach Abschluss der Produktion, sondern bereits vor oder während der kreativen Arbeitsphase.
Die Grimme-Akademie
Die Grimme-Akademie bietet Fortbildungsreihen und Veranstaltungen für die Medienbranche an. Neben der Qualifizierung des Branchen-Nachwuchses, geht das Team mit den Macher*innen in den direkten Dialog.
Kontakt:
Grimme-Akademie
Telefon: 02365 9189-45
E-Mail: akademie@grimme-institut.de
Fußnoten:
[1] http://www.grimme-akademie.de/themen/inklusion-und-medien/
[2] https://www.aktion-mensch.de/dam/jcr:e012266a-2421-4bc1-86d0-d4603fde5085/AM-Studie-Mediennutzung-Zusammenfassung-barrierefrei.pdf
[4] https://www.videotovoice.com/
[5] https://www.do-xs.de/doxs-schule/integration-inklusion/#filmbeschreiber