Bundeskanzlerin Angela Merkel veröffentlicht seit 2006 einen Video-Podcast, US-Präsident Barack Obama nutzt seit 2007 Twitter und Papst Franziskus ist seit 2016 bei Instagram. Im digitalen Zeitalter verändert sich viel – auch wie Staaten und deren Regierungschefs miteinander kommunizieren oder gegeneinander Krieg führen.
Beispiel Hillary Clinton
Ein Beispiel: Hillary Clinton verwendete die sozialen Netzwerke Twitter und Youtube, um am 12. April 2015 bekanntzugeben, dass sie für die US-Präsidentschaft kandidiert. Diese Aktion wurde auch vorab in der Tagesschau gemeldet.
Wie Diplomatie und Krieg im 21. Jahrhundert stattfinden, wird durch die vielfältigen Möglichkeiten des Internet mit den sozialen Medien beeinflusst. Die nutzen auch politische Akteure für sich – und zwar mit verschiedenen Zielen, die friedlich oder kriegerisch sein können. Politiker und Diplomaten kommunizieren öffentlich im Internet. Soldaten und Hacker greifen sich geheim im Internet an.
Es stellt sich die Frage, ob jeder zum Diplomaten oder zum Kriegsführer werden kann? Und welche Auswirkungen haben diese digitalen Entwicklungen? Denn Digital Diplomacy und Cyber War sind die neuen Begriffe, die Politik und Gesellschaft betreffen.
Diplomatie
Kurz gesagt, ist Diplomatie die Kommunikation zwischen Staaten, welche sich schon mehrmals durch den technischen Fortschritt verändert hat. Es geht darum, dass Staaten miteinander Verhandlungen führen und Kompromisse finden, um am besten friedlich zu existieren.
Definition
Das Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung definiert Diplomatie als die außenpolitischen, zwischenstaatlichen und internationalen Beziehungen und auch als Bezeichnung für die Lehre außenpolitischer Interessenvertretung und ihrer Methoden.
Seit ihrer Entstehung ab dem 13. Jahrhundert ist die Diplomatie durch staatliche Akteure – vor allem Politiker und Botschafter – bestimmt, welche die Interessen des eigenen Staates vertreten. Somit hat Diplomatie zunächst ausschließlich auf staatlicher Ebene stattgefunden. Diese traditionelle Diplomatie wandelte sich im 20. Jahrhundert zur Public Diplomacy, weil sich durch Massenmedien wie Radio und Fernsehen auch das Ziel änderte: Nun galt es, die allgemeine Öffentlichkeit zu informieren und die öffentliche Agenda möglichst mit den eigenen Positionen zu außenpolitischen Themen zu besetzen. „Darunter lässt sich eine Mischung aus Auslandspropaganda, politischem Marketing und Kulturdiplomatie verstehen“ – so formuliert es Thymian Bussemer in „Medien als Kriegswaffe“.
Digital Diplomacy
Die sozialen Medien führen nun zur Digital Diplomacy: Der Begriff bedeutet, dass soziale Netzwerke und digitale Werkzeuge auch für die Ziele der Diplomatie eingesetzt werden. Neue Mittel ergänzen die Werkzeugkiste der Diplomatie – und bereichern sie im besten Fall.
Was ist Digital Diplomacy?
Eine Sammlung mit möglichen Definitionen gibt es bei Twitter.
Mittels Digital Diplomacy sollen Akteure, Medien und Bürger erreicht werden – somit verschwinden Hierarchien und Kommunikation verändert sich. Anstelle von Monologen finden Dialoge statt, indem sich staatliche Akteure mit einzelnen Bürgern austauschen – zum Beispiel in den sozialen Medien. Dort ist die Kommunikation schneller und direkter als in der geschlossenen Sphäre der konventionellen Diplomatie. „Regierungen haben zu lernen, dass sie in der globalen Kommunikation nur noch einer von vielen Akteuren sind“, meint Anja Türkan in „Digital Diplomacy – Der Wandel der Außenpolitik im digitalen Zeitalter“.
Pioniere
USA und Schweden können als Pioniere der Digital Diplomacy gelten: Das US Department of State hat eine 21st Century Statecraft – also die Staatskunst des 21. Jahrhundert – formuliert. Es heißt, die US-Außenpolitik solle neue und innovative Werkzeuge adaptieren und einsetzen. Soziale Netzwerke benennt der 21st Century Statecraft als wichtigste Werkzeuge der Digital Diplomacy, um die Kommunikation zwischen Staaten und Völkern zu pflegen und zu fördern.
Regierungen können sich mittels Digital Diplomacy auch um Aufmerksamkeit, Verständnis und Unterstützung für die eigene Außenpolitik bemühen. „Now we can reach out to individuals all over the world on any given issue“, sagt Carl Bildt, der ehemalige schwedische Außenminister. Denn ist es möglich, auch in mehreren Sprachen zu kommunizieren und so die Bürger anderer Staaten direkt zu erreichen. Nicht zuletzt ist es möglich, auch weiterhin Menschen zu erreichen, die sich immer seltener aus den Massenmedien informieren. So gibt es Politiker, denen es gelingt, über soziale Netzwerke eine größere Reichweite erzielen als in nationalen Medien.
Die Stockholm Initiative for Digital Diplomacy ist im Januar 2014 die erste Konferenz gewesen, bei der sich Diplomaten und Experten getroffen haben, um sich über das Thema auszutauschen. Die Diskussionen und Ergebnisse wurden als Text und als Video festgehalten. Seitdem finden auch sogenannte „diplohacks“ zu bestimmten Themen in verschiedenen europäischen Ländern statt.
Digital Diplomacy &
soziale NetzwerkeBei Storify findet sich eine umfangreiche Sammlung mit Beispielen für Digital Diplomacy in sozialen Netzwerken – mit Reaktionen auf weltweite Ereignisse oder mit Weihnachtsgrüßen von Regierungschefs.
Mit Digital Diplomacy besteht einerseits die Chance, dass es mehr Beteiligung gibt, und andererseits das Risiko, dass die Inhalte populistischer werden. Denn Kommunikation in sozialen Medien ist weniger nachrichtlich und mehr emotional. Nicht allein Themen und Positionen sind wichtig, sondern auch, wie persönlich und authentisch sich die staatlichen Akteure geben. Anhand dessen entscheiden Bürger, ob Politiker schließlich wählbar sind.
Ebenso können Politiker für ihr Handeln direkt und öffentlich in die Verantwortung genommen werden. Und zusätzlich ist es den Bürgern möglich, Themen selbst auf die öffentliche Agenda zu setzen und die Aufmerksamkeit der staatlichen Akteure zu erregen – beispielsweise mit Hashtags, die inzwischen in fast allen sozialen Netzwerken funktionieren und als trending topic angezeigt werden.
Neue Netzwerke, neue Champions
Kosovo & Estland
Mit der Initiative „Digital Kosovo“ will sich das junge und kleine Land mehr Sichtbarkeit in der digitalen Sphäre verschaffen – auch mit dem Ziel, als unabhängiger Staat anerkannt zu werden. „Digital Kosovo“ soll helfen, dass der Staat online vertreten ist – das heißt in die Länder-Auswahl von sozialen Netzwerken, Online-Shops, Fluggesellschaften und Bildungseinrichtungen aufgenommen wird. Zur Digital Diplomacy des Kosovo gehört, die eigenen Bürger zu aktiven Diplomaten zu machen: Für „Digital Kosovo“ bitten die Bürger möglichst zahlreich darum, dass der Staat in die Länder-Auswahl aufgenommen wird. Die Resultate werden an die Website gemeldet und dort dokumentiert. So werden Fakten im Internet geschaffen, die sich auch offline auswirken: Weltweit berichteten Medien – zum Beispiel The Atlantic –, als Kosovo von Facebook in die Länder-Auswahl übernommen wurde.
Auch Estland will sich in der digitalen Sphäre positionieren – mit einer e-residency. Seit 2015 kann man e-resident mit einer Identitätskarte und zugehöriger PIN-Nummer werden, die den Zugriff zu vielen nützlichen Online-Services erlaubt. Beispielsweise ist es möglich, Firmen in Estland zu registrieren, Dokumente digital zu unterschreiben, Online-Banking zu erledigen oder eine Steuererklärung einzureichen – ohne vor Ort in Estland zu sein, sondern weltweit mit einem Internetanschluss. Zweck der e-residency ist, dass sich geschäftliche Dinge im Internet und ohne Bürokratie erledigen lassen, so dass (Online-)Firmen innerhalb eines Tages gegründet und anschließend weltweit online geführt werden können. Dieser Standortvorteil soll bis 2025 etwa zehn Millionen e-residents für Estland mit aktuell 1,3 Millionen Einwohnern bringen, um vor allem Investitionen zu erreichen, welche die Wirtschaft des kleinen Staates fördern.
Und durch Digital Diplomacy wandeln sich alte Hierarchien zu neuen Netzwerken – es entstehen Kontakte, die nicht durch Rang und Namen definiert sind. In sozialen Medien gibt es Verbindungen aufgrund anderer Kriterien, weil die Akteure einander folgen oder private Nachrichten austauschen können – ohne offizielle oder diplomatische Wege zu wählen. In Zukunft wird es seltener möglich sein, dass einige mächtige Staaten die weltweite Agenda bestimmen. Denn dieser Aspekt der Digital Diplomacy ermöglicht es kleinen oder neuen Staaten, welche in der konventionellen Diplomatie kaum präsent oder nicht anerkannt sind, sich in der digitalen Sphäre zu positionieren und so auch in der Welt für Aufmerksamkeit oder Änderungen zu sorgen.
Digital Diplomacy mittels Twitter untersucht seit 2012 Burson-Marsteller in der jährlichen „Twiplomacy Study“. Im Jahr 2015 waren bereits 86 Prozent der 193 UN-Mitgliedsstaaten in dem sozialen Netzwerk vertreten – und den höchsten Wert von 91 Prozent erreichen die Außenminister(innen), die für die Diplomatie wichtig sind.
Interessant ist, dass nicht nur staatliche Akteure wie Regierungen und Botschaften, sondern auch religiöse und royale Oberhäupter vertreten sind, um ihre Positionen zu vermitteln. So hat der Papst als @pontifex – in neun Sprachen – die meisten Follower nach US-Präsident Barack Obama und gilt sogar als einflussreichster Twitterer in Sachen Digital Diplomacy. Denn im Durchschnitt erzielt der Papst die meisten Retweets, das bedeutet, dass seine Twitter-Nachrichten sehr stark verbreitet werden. Auch die folgenden Plätze werden nicht von den mächtigsten Männern oder Frauen der Welt belegt, sondern vom saudi-arabischen König @KingSalman und dem venezuelischen Präsidenten @NicolasMaduro.
Auch Ilan Manor, der über Digital Diplomacy bloggt, hat in einem Artikel für das Center on Public Diplomacy festgestellt, dass die Botschaften von Ruanda, Norwegen und Neuseeland bei Twitter die meisten Follower haben und den G7-Staaten weit voraus sind. Ebenso sind die Außenminister(innen) aus den kleinen Staaten Litauen, Lettland und Slowakei unter den Kollegen am populärsten, heißt es im Text „On Social (Media) Mobility in Digital Diplomacy“ vom 16. März 2015.
Wieder zeigt sich, dass sich Einfluss durch Digital Diplomacy verändert: Staaten, die im (medialen) Weltgeschehen eine eher geringe Rolle spielen, können so auf ihre Belange aufmerksam machen und eigene Interessen verfolgen – ohne auf Public Diplomacy angewiesen zu sein. Das scheinen vor allem die spanischsprachigen Staaten zu nutzen, denn die „Twiplomacy Studie“ 2015 ergibt, dass von rund 670 untersuchten Twitter-Präsenzen mehr spanische als englische Tweets veröffentlicht werden.
Twitter-Abstinenz
Angela Merkel zählt zu den wenigen Regierungschefs, die nicht bei Twitter präsent sind. Die Bundeskanzlerin lässt den Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert als @regsprecher für sich kommunizieren. Es ist erstaunlich, dass Merkel das für Digital Diplomacy viel genutzte soziale Netzwerke nicht persönlich verwendet, obwohl sie als Bundeskanzlerin im Foto-Netzwerk Instagram aktiv ist und den wöchentlichen Video-Podcast „Die Kanzlerin direkt“ veröffentlicht.
Für Außenminister und Botschafter ist es möglich, sich per Twitter mit Kollegen sowie Regierungschefs in anderen Staaten direkt und öffentlich zu verbinden – das gelingt laut „Twiplomacy Study“ den Akteuren aus Frankreich und Russland am besten, die bei Twitter virtuelle diplomatische Netzwerke geschaffen haben. Insgesamt sind 4.100 Botschaften und Botschafter bei Twitter vertreten und die „Twipolmacy Study“ meint: „…it has become virtually impossible to become a Foreign Office diplomat if you are not using digital tools.“
Zusätzlich zur „Twiplomacy Study“ hat die Twiplomacy-Website für 2016 auch Analysen zu den „World Leaders“ bei Facebook, Google+, Instagram und Youtube veröffentlicht. Aktuell gibt es auch einen Überblick, wie „World Leaders“ Snapchat nutzen, das momentan am stärksten wachsende soziale Netzwerk.
Wie Digital Diplomacy wirkt
Es stellt sich die Frage, ob Digital Diplomacy sogar Wahlen beeinflussen oder entscheiden kann? Hinweise gibt es: So unterstützen Facebook und Twitter, dass ihre Nutzer öffentlich posten, dass sie an (US-)Wahlen teilgenommen haben. Eine Aktion von Facebook hat gezeigt, dass es wahrscheinlicher ist, dass Menschen wählen gehen, wenn sie durch Freunde im sozialen Netzwerk darauf hingewiesen werden. Die Testpersonen konnten am Tag der US-Präsidenten-Wahl einen „Ich habe gewählt“-Button anklicken. Wurde Facebook-Nutzern diese Aussage gemeinsam mit Profil-Fotos der Freunde angezeigt, ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass auch diese Menschen ihre Stimme abgeben. Im Wahlkampf um die 45. US-Präsidentschaft setzt auch Twitter das Hashtag #iVoted zu einem auffälligeren Icon um, wie dieser Tweet zeigt.
Twitter-Nutzung
Mit dem Account @gov fasst das „Twitter Government and Elections Team“ zusammen, wie das soziale Netzwerk kreativ und effektiv für Digital Diplomacy genutzt wird.
Dass Beiträge in sozialen Netzwerken – den wichtigsten Werkzeugen der Digital Diplomacy – auch zu Verwicklungen in der konventionellen Diplomatie führen können, zeigen Beiträge der TV-Sendungen „extra 3“ und „Neo Magazin Royale“. Beide haben im März 2016 satirische Beiträge über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgestrahlt, die anschließend mit türkischen Untertiteln in sozialen (Video-)Netzwerken verbreitet wurden. Der „extra 3“-Beitrag führte dazu, dass der deutsche Botschafter in der Türkei einbestellt und mit dem Wunsch konfrontiert wurde, dass Video wieder zu entfernen. Wegen des „Neo Magazin Royale“-Beitrags, der sich auf diesen Vorfall bezieht, ging eine diplomatische Note der türkischen Regierung an das Auswärtige Amt in Deutschland. Und Erdogan hat einen Strafantrag wegen möglicher Beleidigung gegen Moderator Jan Böhmermann gestellt, ein entsprechendes Verfahren hat die Bundesregierung zugelassen.
Obwohl Google kein direkter Akteur der Digital Diplomacy ist, zeigt sich, dass der Internetkonzern sich verschiedenen politischen Sichtweisen anpasst. Das ist bei Google Maps zu sehen, wenn es um territoriale Ansprüche von Staaten geht. Denn abhängig davon, an welchen Ort man Google Maps aufruft, werden entweder keine eindeutigen Grenzen markiert oder strittige Gebiete verschiedenen Staaten zugeordnet. Eine Webseite zeigt Beispiele für einige dieser „disputed territories“.
Das Beispiel Google Maps verweist darauf, dass sich die Werkzeuge der Digital Diplomacy auch für individuelle Ziele missbrauchen lassen – etwa zur Propaganda, um in Kriegssituationen wie in Syrien oder der Ukraine das staatliche Handeln als legitim und notwendig darzustellen. Noch schwieriger ist, dass auch Extremisten und Terroristen sich aus der Werkzeugkiste der Digital Diplomacy bedienen, um sich vor allem gewaltsam mit Staaten oder Bürgern auseinanderzusetzen. Es ist so, dass extremistische und terroristische Organisationen soziale Medien sehr professionell und effektiv verwenden, um für ihre Sache zu werben und „Unterstützer“ zu rekrutieren. „Social media have become a weapon of war and we can no longer ignore this fact“ – so steht es zum Thema Social Media vs. Digital Jihad in der Dokumentation zum Global Media Forum 2015 der Deutschen Welle.
Cyber War – der Krieg im Internet
Neue Technologien werden auch zur Kriegsführung zwischen Staaten verwendet: Cyber War lautet der gängige Begriff, wenn das Internet als Waffe genutzt wird. Im Gegensatz zum konventionellen Krieg, der gewöhnlich über Land, zu Wasser oder durch die Luft geführt wird, ist Cyber War ein kalter Krieg, der in der digitalen Sphäre stattfindet.
Cyber Terror
Mehr zu „Cyber Terror: Risiken im Informationszeitalter“ von Reinhard Hutter bei der Bundeszentrale für politische Bildung
Für den Cyber War ist vor allem die Verwendung der Technik wichtig, während nur wenige, aber sehr spezialisierte Menschen erforderlich sind, um diese Form des Kriegs zu führen. „Ein Einzelner mit einem einzigen Laptop könnte ebenso viel, wenn nicht mehr zerstören, als eine konventionelle Bombe“, so beginnt die Dokumentation „Netwars – Krieg im Netz“. Tatsächlich können Cyberangriffe von Staaten oder von einzelnen Personen durchgeführt werden. Anders als im konventionellen Krieg ist es nicht das Ziel, einen Gegner militärisch zu besiegen – und das oft durch den Verlust von vielen Menschenleben.
Cyberangriff
Dass ein Cyberangriff einen Staat recht lange beschäftigen kann, hat ein entsprechender Vorfall im Deutschen Bundestag gezeigt, der im April 2015 unbemerkt begann, so dass auch Passwörter entwendet und Daten gestohlen werden konnten. Die Software konnte erst durch neue IT-Hardware im folgenden Sommer unschädlich gemacht werden. Und weitere Schutzmaßnehmen gegen Cyberangriffe sollen noch bis ins Jahr 2017 umgesetzt werden. Eine Chronologie zum Bundestagshack hat netzpolitik.org veröffentlicht.
Cyber War funktioniert anders: Es werden Computersysteme angegriffen, die sich heutzutage in fast allen Lebensbereichen finden. Menschen müssen nicht vor Ort sein, um den Gegner und seine Strukturen anzugreifen. Ein Cyberangriff lässt sich von fast jedem Computer ausführen und wird weder für den Gegner noch die Bevölkerung eines Staates unmittelbar spürbar – anders als ein militärischer Angriff. Denn das Ziel von Cyberangriffen ist, so lange wie möglich unentdeckt zu bleiben und unbemerkt agieren zu können.
Mittels schädlicher Software werden geheime oder geschützte Informationen gefunden und gestohlen – also Spionage betrieben. Schädliche Software kann Screenshots oder eingegebene Passwörter übermitteln, so dass es für den Angreifer möglich ist, die Kommunikation zu stören, zu fälschen oder zu beenden. Und auf diese Weise den Gegner zu schwächen. Wird ein Cyberangriff schließlich entdeckt, ist es nicht möglich, „zurückzuschießen“, sondern es muss ein Weg gefunden werden, um die schädliche Software zu entfernen und die Schwachstelle im Computersystem zu reparieren.
stuxnet
Als erste zerstörerische Software – oder Cyber-Waffe – ist der Computer-Virus „stuxnet“ bekannt geworden, der nicht ausschließlich in der virtuellen Welt operierte, sondern tatsächlich hunderte computergesteuerte Zentrifugen durch falsche Befehle im iranischen Atomkraftwerk Natanz zerstörte. Dieser Cyberangriff, dessen Urheber bis heute nicht nachgewiesen ist, wurde erst nach Monaten im Jahr 2010 entdeckt.
Ist die eingeschleuste Software „erfolgreich“, können die Auswirkungen von Cyber War auch mittelbar für die Bevölkerung spürbar werden: Prinzipiell ist es denkbar, dass schädliche Software die Infrastruktur eines Staates sabotiert – beispielsweise die Stromversorgung unterbricht oder Verkehrsmittel stoppt. Oder dass staatliche Institutionen und Firmen von Cyberangriffen betroffen sind und nicht mehr zuverlässig arbeiten können. An diesen Stellen sind Staaten meist verletzlicher – und auch effektiver zu treffen –, als an ihren Grenzen.
Heutzutage werden Kriege meistens hybrid geführt – nämlich nicht nur zu Land, Luft und Wasser, sondern gleichzeitig auch über das Internet. Cyberangriffe können durchaus kriegsentscheidend sein – und sind nicht immer an einen heißen Krieg zwischen Staaten geknüpft, sondern können auch einzeln stattfinden. Und Krieg mit cybertechnischen Mitteln wird in Zukunft zunehmen, so dass dauerhaft eine Verteidigung nötig ist, das heißt die verwendete Technik ständig besser geschützt werden muss. In Deutschland soll eine spezielle Einheit der Bundeswehr vor Cyberangriffen schützen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen kündigte an, ein neues Kommando „Cyber- und Informationsraum“ aufzubauen.
Schutzvorkehrungen
Estland, ein Staat, der sehr stark auf Online-Services – insgesamt etwa 4.000 Dienste – im öffentlichen und politischen Bereich setzt, hat zur Verteidigung sechs „data embassies” – also Daten-Botschaften geplant – um für ein Back-up zu sorgen, sollte es zu Cyberangriffen kommen. Und für den Fall eines konventionellen Krieges besteht durch die Daten-Botschaften auch die Möglichkeit, von überall in der Welt weiter zu regieren und alle Online-Services fortzusetzen und somit als Staat – auch ohne Land – weiter zu existieren.
Und die Wahrscheinlichkeit für Cyber War nimmt zu, weil Computersysteme schon fast allgegenwärtig, aber meistens nicht sicher oder fehlerfrei sind – somit optimale Ziele für Cyberangriffe. Dies wird zu einer neuen Art des Kriegs zwischen Staaten führen, wenn diese Entwicklungen nicht durch virtuelle Verteidigung oder die Mittel der Digital Diplomacy verhindert werden.
Um schädliche Software in fremde Computersysteme einzuschleusen, werden Sicherheitshürden umgangen oder Sicherheitslücken ausgenutzt. Deshalb spielen beim Cyber War die Technik und das Wissen eine entscheidende Rolle. Auch das führt zu veränderten Machtverhältnissen in der Welt: Die militärische Stärke eines Staates ist nicht mehr wesentlich, um sich als Weltmacht zu positionieren und gegen Angreifer zu verteidigen, denn schon ein einziger Fehler im Schutz der Computersysteme kann zu erfolgreichen Cyberangriffen durch Staaten oder Menschen führen, die über keine militärischen Mittel wie eine Armee und Waffen verfügen. Es genügt, wenn einzelne Spezialisten eine Schwachstelle in Computersystemen finden und diese für kriegerische Zwecke ausnutzen.
Die Erstellung dieses Beitrags wurde von der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
Text: Christina Quast • Textredaktion: Annette Schneider
Bildredaktion: Georg Jorczyk • Redaktionsschluss: August 2016
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